Gegenwärtige Stadtentwicklung bringt eine Reihe neuer Territorialstrategien mit sich, wonach sich das Konzept „Zeit“ an die beschleunigten ökonomischen Realitäten anzupassen hat. Diese Bedingungen erfordern zumeist einen hohen Grad an Selbstorganisation. Das Projekt „Trash your House“, das Folke Köbberling und Martin Kaltwasser gemeinsam mit Studierenden des Instituts für Gestaltung der Universität Innsbruck realisierten, konzentriert sich auf einen darin eingeschriebenen fast tautologischen Prozess, in der das Temporäre weniger ein aufbauendes als mehr ein Fehlerquellen reproduzierendes Prinzip zu sein scheint. Mit den Begriffen „temporär“ und „Prozess“ sehen die zwei jedoch die Chance, diesem Prinzip ein kritisches Gegenüber zu geben. Sie tun das mit Verweis dorthin, wo Materialien, die aus Verwertungszyklen fallen, zum produktiven Vehikel für selbstermächtigende Handlungsräume werden. Entsorgte Materialien, Abfall, also Dinge, die etwas Neuem weichen sollen, spüren die beiden akribisch auf, um diese durch umwertende Nutzungsvorschläge folgerichtig im Glanz eines programmatisch geforderten „Neuen“ erstrahlen lassen.
Die Arbeitsweise von Köbberling und Kaltwasser umschreibt damit aber auch ein ganz generelles Phänomen, mit dem sich das gesamte 20.Jahrhunderts übertiteln ließe. Als Absetzbewegung waren die Moderne und im Weiteren die Postmoderne ein perpetuierendes Fortschreiten ohne Hinterlassen, wie der Ästhetikforscher Bazon Brock es unter dem Titel “Gott und Müll” auf den Punkt brachte.[1] In diesem Prozess der schöpferischen Innovations- und Zukunftsbezeugungen, musste sich die immobile Stadt, wie es schien, in wiederkehrenden Abständen als Hindernis darstellen, um sich, diese Krisenterminologien abwerfend, wieder neu erfinden zu können. Sei es im Übergang vom industriellen Produktionsort materieller Güter und zentral gesteuerten Organismus hin zum globalen Ort der Finanzakkumulation und der Wissensökonomie, der den urbanen Raum zunehmend in Nutzungszonen fragmentiert, in der Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Konsum als separat geführte Einheiten zu verstehen; oder im Übergang vom wohlfahrtsstaatlichen Hort zur Stadt als vorbildlich geführtes Unternehmen, diese Neuerfindungen erzeugten eine Hierarchisierung des städtischen Raums.
Dennoch oder gerade deshalb muss man als Gegendarstellung die Stadt als eine unerschöpfliche Ressource in Erinnerung rufen, so Köbberlings und Kaltwassers 2006 publizierte, künstlerische Zwischenbilanz.[2] In ihrem Verständnis kann sich im Prozessualen ein Potential entwickeln, das durch die Hierarchie weitgehend zum Stillstand gebracht wird - wenngleich die globale Marktwirtschaft sich einer ähnlichen Rhetorik bedient. Darin ist die Stadt in ihrer Gesamtheit als eine Art Rohstoff zu verstehen, deren Umsatz steigernd veräußert werden muss, um gegenüber den anderen Unternehmensstädten konkurrenzfähig bleiben zu können. Dieses Verständnis wird vor allem dort verdeutlicht, wo ganze Stadtteile unter dem Vorwand der verbesserten oder innovativen Stadtentwicklung abgerissen werden, um sie strategisch aufzuwerten, obwohl man sich bewusst ist, dass die Zerstörung der über Jahrzehnte aufgebauten Individual- und Kommunallebensräumen weit mehr als bloße stadtplanerische Veränderungen darstellen. Uber Generationen aufgebaute Lebenswerke, eigeninitiierte Infrastrukturen oder erkämpfte Räume lassen sich nicht an einer marktförmige Leistungsskala messen.
Im Besonderen dort, wo Behausungs-Provisorien in die Informalisierung übergehen, wo ausschließlich gesellschaftliche Brennpunkte geortet werden, für die keine staatlichen Problemdarstellungssmöglichkeiten mehr artikuliert werden, zeigen sich nicht selten Selbstversorgungsstrategien, anhand derer sich für die beiden KünstlerInnen sowohl soziale als auch ökonomische Taktiken erlernen lassen, vor allem jene, die marktwirtschaftlich keinen Wert haben.
Als beispielsweise 2007 Mumbais Slum Dharavi zum Verkauf angeboten wurde, geschah das in der Befürchtung, dass Mumbai seine Position als Finanzmetropole verlieren würde. Daher hat die Stadtverwaltung keine Stadtplaner sondern die weltweit agierende US-Consultingfirma McKinsey beauftragt, ein Stadtentwicklungskonzept zu erstellen. Um wettbewerbsfähig gegenüber anderen globalen Finanzhubs sein zu können, so die Konklusio des Mc Kinsey Reports, muss Mumbai aus seinen eigenen Ressourcen, also etwa durch die Aufwertung von Grund und Boden schöpfen. Dharavi ist aber nicht nur die größte Shanti-Town Asiens, es ist zugleich ein funktionierender Organismus, in dem sich etwa über Jahre aufgebaute Spezialbetriebe für Müllwiederverwertung etablierten. Mit dem Beschluss des Abrisses der Slumhütten würde somit ein informeller Überlebenszyklus durchbrochen und möglicherweise brisantere soziale Probleme generieren. Denn die Logik urbaner Raumaufwertung steht im gänzlichen Widerspruch zum Konzept eines sozialen Raums, und somit zu einem räumlichen Ordnungsprinzip, das die Stadt nicht nur als Produkt betrachtet, sondern als einen, dem Produkt gleichwertigen sozialräumlichen Prozess, wie es etwa der französische Philosoph Henri Levebvre in seiner kritische Stadtforschung einforderte.
„Trash your House!“ ist in mehrerlei Hinsicht eine radikale Aufforderung, um diese Widersprüche zu reflektieren. Indem eine Hütte ohne ersichtlichen Grund den Berg hinuntergestürzt wird, bedient sich die Aktion einer auf dem Prinzip der Immobilienblase beruhenden Taktik, so könnte man vorerst annehmen. Sie generiert somit einige unbeantwortbare Fragen. Sie überprüft aber zugleich die eigene Handlungsfähigkeit, für die Köbberling/Kaltwasser in ihrer Arbeit plädieren, mehr noch, zu der sie auffordern. Denn in der Zerstörung kommt das Konzept der Selbstorganisation zum Intentionsnullpunkt. Man könnte behaupten, die KünstlerInnen haben sich, um den aktuellen ökonomischen Stillstand zu verdeutlichen, in einer Weise ihrer eigenen Praxis in den Weg gestellt. Von anfänglichen Intentionen des simplen “Hausbaus” als Aneignungspraxis im “Selbstversuch”, wie sie eines ihrer ersten Bauvorhaben untertitelten, über das “Musterhaus” als Partizipationspraxis in einem festgefahrenen sozialen Gefüge, hin zur “Villa” als Grundfeste bürgerlicher Werteökonomie manifestiert das Cluster “Haus” im Laufe ihrer Arbeit nicht nur ihr wachsendes Selbstverständnis einem prozessualen Arbeiten gegenüber. Im Prinzip der temporären Behausung ortet das KünstlerInnenduo Bruchstellen, die sich sowohl in persönlichen Erfahrungswelten widerspiegeln, als auch den oben beschriebenen exkludierenden Mechanismen eingeschrieben sind.
Mit der Konzentration auf die Zerstörung demonstriert “Trash your House” einen Kreislauf, dessen vorwärts-bewegende Mechanismen sich vielfach im Bereich des Nicht-Sichtbaren abspielen. Die Virtualität des Immobilienmarktes, die sich, bis sie beim Traum vom Eigenheim angelangt ist, in der Zentrifuge ihrer Kreise potenziert.
Der insistierende Hinweis der beiden auf das “Haus” als Produkt sozialer, politischer und ökonomischer Regelwerke bestärkt daher, allgemeiner gesehen, Raum als machtkonstituierende Variable. Die symbolische Vehemenz, die sie dem Projekt zuführen, schließt an eine Praxis an, wie sie beispielsweise Gordon Matta Clark anhand des Begriffs Anarchitecture in den siebziger Jahren ableitete. Als Architekt und Künstler zeigte Clark in seinen destruierenden Aktionen, eine Möglichkeit auf, die Prozesse der künstlich eingeleiteten, wirtschaftlich gesteuerten Transformation urbanen Raums dort freizulegen, wo ihre Brüche zum Vorschein treten: an vornehmlich zum Abriss stehenden Häusern und urbanen Brachen. “Trash your House” bedient sich einer vergleichbaren Formensprache. Sie bauen zwar, wie in anderen Projekten ein Haus, aber nur um dieses den Hang hinunterzustürzen. Mit diesem theatralischen Akt steigert sich der symbolische Gehalt ins Unendliche und zugleich konzentriert er sich auf das Wesentliche: auf die Strategien der Erneuerung.
*„Trash your House“ konzipierten Folke Köbberling und Martin Kaltwasser für „Where we are“, eine Ausstellung im öffentlichen Raum im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Linz 2009. „Where we are“, kuratiert von Charles Esche und Maren Richter, wurde zwei Monate vor der Eröffnung abgesagt. Daher hatten die beiden KünstlerInnen die Idee, im Zusammenhang mit ihrem Lehrauftrag in Innsbruck „Trash you House“ dort zu realisieren.
[1] Bazon Brock, Gott und Müll, Kunstforum International, Band 167, S. 42
[2] Folke Köbberling & Martin Kaltwasser. Ressource Stadt. One Man’s Trash is Another Man’s Treasure. Berlin 2006