Güvenlik/Sicherheit 2003 In Istanbul haben ökonomische und politische Umwälzungen in den letzten 50 Jahren dazu geführt, dass die Stadt von 1 auf 13 Millionen Einwohner wuchs. Das Stadtwachstum vollzog sich zu mehr als 50 % in informellen Neuansiedlungen, den Gecekondu, zwischen kollektiver Landnahme, individueller Privatisierung sowie baulicher und sozialer Selbstorganisation. Die Gecekondu bilden ein einmaliges Phänomen von selbstorganisiertem Wohnungsbeschaffungsprogramm der Knüpfung sozialer Netze und Sicherheiten für alle Neuankömmlinge, jedoch verbunden mit enormer Zersiedlung, Umweltzerstörung und mafiöser Organisation. In der Megacity Istanbul steht der stellenweise durchgesetzten Vorstellung von „Moderner Stadt" die unüberwindbare Kraft der chaotisch anmutenden Gecekondu gegenüber. In einer das Gros der Stadtbewohner betreffenden Tendenz der Prekarisierung und auf Dauer ausgerichteten Informalisierung der Arbeit stellt das Wohnen in den Gecekondu jedoch eine der wenigen Sicherheiten dar, die sich deren Bewohner u.a. als Altersversorgung geschaffen haben. Bürgerliche Kreise und offizielle Stadtplaner sehen sich wiederum durch die teilweise hochpolitisierten Gecekondu in ihren Sicherheiten bedroht und sehnen sich nach einem „gesäuberten" Istanbul, also dem Abriss der Gecekondu und aufoktroyierten Befriedungsprogrammen. Und daneben ist das drohende Erdbeben der alles beherrschende Unsicherheitsfaktor inmitten von Planung, Wunschbildern und Hausbaurealität. Angehörige von Mittel– und Oberschicht lassen gar neue Gated Communities unter Duldung der städtischen Verwaltung inmitten der schwindenden Naherholungsgebiete entstehen. Einerseits um in die erdbebensicheren Gebiete zu ziehen, andererseits weil sie endgültig dem in ihren Augen chaotischen Moloch Istanbul entfliehen und sich in einer Atmosphäre erkaufter und berechenbarer Sicherheit wägen wollen. In Istanbul sind an vielen Stellen Wachschutzkabinen aus Kunststoff zu sehen, in denen Wachpersonal sitzt. Nahezu alle schützenswerten Objekte sind neben Videokameraüberwachung mit solchen Wachschutzkabinen versehen, wie Regierungsgebäude, Universitätseinrichtungen, Parkplätze, Mittel- und Oberklassewohngebiete und auch eine weitgehend leerstehende Satellitenstadt für 400.000 Einwohner in Kavakli, im äußersten Westen Istanbuls, in der erdbebengefährdetsten Zone der Stadt.